Atomkraftwerke sind nicht dafür ausgelegt, variabel an- und abgeschaltet zu werden

Leserbrief von Harry Block zu ‚Analyse des Tages – Ein Weiterbetrieb war ein zu großes Risiko‘
(abgedruckt in der BNN vom 6.9.2022)

Die BNN-Analyse hat auf die Sicherheitsprobleme des geplanten ´Reservebetriebs der Atomkraftwerke´ Neckarwestheim 2 und Isar 2 aktuell hingewiesen. Auch der für das laufendend baden-württembergische Atomkraftwerk zuständige Leiter der Abteilung „Kernenergieüberwachung, Strahlenschutz“, Gerrit Niehaus, hat dies im Juli 2022 seinen bayrischen KollegInnen ins Stammbuch geschrieben, als diese nach einem handwerklich mageren TÜV-Gutachten Isar 2 einen Persilschein zum möglichen Weiterbetrieb ausstellten: „… dass Sie eine für mich nicht nachvollziehbare Beurteilung der Sicherheit vornehmen, die den Grundsätzen der deutschen Aufsichtspraxis widerspricht“. Zu diesen Grundsätzen gehöre es, „… sich auf gründliche Prüfungen und Nachweise zu stützen.“ Genau diese fehlen aber auch in Neckarwestheim, für dessen nicht erfolgte 10-jährige Sicherheitsüberprüfung mit dreijährigem Rabatt (wegen der geplanten Stilllegung am Ende des Jahres) der zitierte Beamte die volle Verantwortung trägt. Das Protokoll einer Telefonkonferenz mit den Chefs der drei Atomkraftkonzerne, an der auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck teilgenommen hat, stellt laut Süddeutscher Zeitung (4. Aug. 2022) fest, dass eine Laufzeitverlängerung über den 31. Dezember hinaus „erneute Fragen der Sicherheit und der Sicherheitsüberprüfung“ aufwürfe. Ein Weiterbetrieb sei daher „nur sinnvoll, wenn entweder die Prüftiefe der grundlegenden Sicherheitsanalyse verringert würde und/oder auf weitreichende Nachrüstungsmaßnahmen (…) verzichtet würde“. Allerdings würden die Atomkraftwerke „in einer Situation der Gasmangellage nur wenig Gas ersetzen“, heißt es weiter in dem Protokoll.

Die ´Reservestreckung´, die der Stresstest auch im Blick hatte, diente nur der Untersuchung zur Netzstabilisierung, aber nicht der eigentlichen Stromversorgung. Die Netzbetreiber sorgen sich im Winter über einige Stunden einer möglichen Netzschwankung in unserem Land. Grund der Instabilitäten: Vor allem Frankreich, wegen seiner zur Hälfte stillgelegten, maroden Atomkraftwerke, saugt derzeit viel Strom aus unserem Netz. Dort ist es genau diese Hochsicherheitstechnologie, diese weiterhin auf Atomreaktoren setzende falsche französische Energiepolitik, die die deutschen Netzbetreiber zur Feststellung trieben, dass unsere drei laufenden Atomkraftwerke mit 0,09 % zur Versorgungssicherheit unserer Stromversorgung betragen könnten.

Es ist aber nicht nur die Sicherheit, die gegen eine ´Reserve´ sprechen. Es müssten dafür erst einmal entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen im Bund und in den zwei betroffenen Ländern für den Weiterbetrieb geschaffen werden. Zudem sind dann teure technische und organisatorische Prüfungen vorzunehmen. Die Kosten des Stroms, die sich in den letzten Monaten dramatisch für uns alle erhöht haben, würden noch mehr steigen. Auch von wirksamen Maßnahmen zur massiven Stromeinsparung war leider bei der Ankündigung der Reserveatomkraft wenig zu hören.