Atommüll Endlagersuche: NBG-Vorsitzender kann sich nukleare Laufzeitverlängerung vorstellen

von Dirk Seifert, 02.11.21

Atommüll Endlagersuche: NBG-Vorsitzender kann sich nukleare Laufzeitverlängerung vorstellen

In der Debatte um die europäische Einordnung der Atomenergie als vermeintliche saubere Energiequelle kann sich laut einem Bericht beim WDR-Fernsehen Armin Grunwald, Co-Vorsitzender des Nationalen Begleitgremiums (NBG) bei der Atommüll-Endlagersuche vorstellen, dass man für einige Länder mit atomarer “Laufzeitverlängerung durchaus (etwas) sinnvolles tun kann.” Nach der Atomkatastrophe von Fukushima und dem beschlossenen Atomausstieg ist das NBG als unabhängiger Wächter bei der neu gestarteten Suche nach einem Atommüllendlager eingerichtet worden. Grunwald ist im Hauptberuf Physiker und Philosoph am Karlsruher Institut für Folgenabschätzung. Das Institut gehört zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dem Nachfolger des ehemaligen Atomforschungszentrum, in dem auch heute noch Atomtechnik erforscht wird.  Grundwald äußert sich vor dem Hintergrund einer aktuell nicht nur von Frankreich geforderten europäischen Anerkennung der Atomenergie als saubere Energiequelle für Investitionen und einer in den Medien immer wieder vorgetragenen Debatte um eine Laufzeitverlängerung für die letzten noch in Deutschland in Betrieb befindlichen Atommeiler.

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima ist auf der Basis des endgültigen Atomausstiegs die Endlagersuche nach dem Scheitern in Gorleben neu gestartet worden. Als eine Konsequenz ist für das neue Endlagersuchverfahren das NBG als Verfahrens-Wächter per Gesetz eingerichtet worden. Der Atomausstieg begrenzt die Menge des Atommülls, für den ein Endlager benötigt wird. Nur wenn klar wäre, dass keine weitere Atomenergienutzung mehr stattfindet, wäre es im äußersten Fall denkbar, dass die Menschen in einer Region mit geeigneter Geologie bereit wären, ein solches Endlagerung für hochradioaktive Abfälle zu akzeptieren. Außerdem – so die Erkenntnisse aus Gorleben – nur maximale Transparenz und Beteiligung kann dieses Einverständnis ermöglichen. Bislang beherrschen die beteiligten Behörden diese hohe Anforderungen aus dem Standortauswahlgesetz in nur sehr begrenzter Weise, bzw. verharren in alten Machtmustern. Zerstörtes Vertrauen aufzubauen, wird leichtfertig, absichtlich oder zu wenig sensibel immer wieder neu verspielt, nun wohl auch beim NBG.

Screenshot WDR Aktuelle Stunde
Armin Grunwald – Screenshot WDR Aktuelle Stunde

All das war präsent, als der Deutsche Bundestag nach intensiven parlamentarischen und gesellschaftlichen Kontroversen einerseits ein Standortauswahlgesetz beschloss und gleichzeitig einen umfangreichen Reformprozeß auf den Weg brachte, in dessen Mittelpunkt eine von Bundestag und Bundesrat beauftragte Endlagerkommission stand. Auch diese war heftig umkämpft und am Ende standen kein Konsens, sondern Mehrheitsempfehlungen, die das Gesetz umfangreich veränderten. Mit vielen weiter bestehenden Mängeln. Aber mit dem Gesetz und im Wissen um die massiven Vertrauensverluste der Vergangenheit wurde in einem maximal möglichen parlamentarischen Konsens das Nationalen Begleitgremium als quasi unabhängiges gesellschaftliches Wächter-Gremium eingerichtet. Das NBG soll darüber wachen, dass willkürliche politische Eingriffe in Sicherheitsfragen und Standortauswahl verhindert werden, Öffentlichkeit und Beteiligung jederzeit sichergestellt sind und Vertrauen in das Verfahren ermöglicht wird.

Vor diesem Hintergrund ist klar, dass das NBG von jedem Verdacht erhaben sein muss, irgendwas mit Atomförderung oder Parteinahme für Atomenergie zu tun zu haben. Aber genau diese Grundlage verlässt der Co-Vorsitzende, wenn er ausgerechnet vor dem Hintergrund der laufen EU- und Laufzeitverlängerungsdebatte von einer “sinnvollen” atomaren Laufzeitverlängerung spricht, samt den Risiken von Atomkatastrophen der Marke Tschernobyl oder Fukushima und inklusive weiter wachsender Atommüllberge.

Vertrauen aufbauen geht anders.

Pressemitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.

3. November 2021

NBG – quo vadis?

Armin Grunwald ist einer der Vorsitzenden des Nationalen Begleitgremiums (NBG), das den Endlagersuchprozess begleitet und dabei eine Vermittlerrolle zwischen Behörden und Zivilgesellschaft spielt. Nun irritiert Grunwald, im Hauptberuf Physiker und Philosoph am Karlsruher Institut Technologie, durch Aussagen zu einer möglichen Weiternutzung der Atomkraft.

Er sagt in einem  WDR -Interview (ab ca. Minute 16) mit Blick auf die europäische Debatte um die Einordnung der Atomenergie als vermeintlich saubere Energiequelle, er könne sich für einige Länder durchaus eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken vorstellen. Von einer „Brückentechnologie“ ist im WDR-Beitrag die Rede.

Ähnlich hatte sich schon die EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen geäußert, die Atomkraft bezeichnete sie als eine Säule der Energieerzeugung: „We also need a stable source, nuclear, and during the transition, gas. This is why we will come forward with our taxonomy proposal.“  Sie kommt auch in dem WDR-Beitrag entsprechend zu Wort.

Quelle: etwa ab Minute 1:30 bis 2:20:

Für die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) sind diese Stellungnahmen ein „No-Go“. „Derartige Stellungnahmen kannten wir bisher nur von dem Pro-Atom Verein Nuklearia. Von der Leyen und Grunwald blenden dabei das Reaktorrisiko völlig aus. Schließlich war der SuperGAU in Fukushima-Daiichi der Grund für den raschen deutschen Atomausstieg, die Risikobewertung wurde sogar unter Angela Merkel neu austariert“, erinnert BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Hinzu käme, dass mit dem weiteren Betrieb von Atomkraftwerken, egal in welchem Land, sich auch die Atommüllproblematik verschärfe.

Grunwald stelle sich als Co-Vorsitz des NBG in der Debatte um die sogenannte EU-Taxonomie, die aus Sicht von Ländern wie Frankreich und Polen den Weg für Investitionen in die Atomkraft eben soll, nicht nur gegen die Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen, er stellt sich diametral gegen das Gutachten des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung  (BaSE). Das BaSE hatte sich klar positioniert und gegen die Absicht einiger europäischer Staaten ausgesprochen, die Atomkraft als nachhaltig einzustufen.  Entsprechend äußerte sich auch der Präsident des BaSE, Wolfram König, in einem Gastbeitrag in der Gorleben Rundschau.

„Armin Grunwald spricht hoffentlich nicht für das NBG. Wir sehen da großen Klärungsbedarf, auch mit Blick auf die weitere Zusammenarbeit mit dem NBG“, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.  Ihm dürfte als Wissenschaftler auch nicht entgangen sein, dass die Bereitschaft der Atomkraftkritiker:innen, sich konstruktiv in die Debatte um die nukleare Entsorgung einzubringen, von dem klaren, endgültigen Aus der Atomkraft abhänge. Sogar in der Forschung wurde auch für weite Teile der Bevölkerung dieser Konnex ausgemacht (1).

Wolfgang Ehmke, Pressesprecher, Tel.: 0170 510 56 06

https://www.bi-luechow-dannenberg.de/2021/10/27/cop26-atomkraft-ist-keine-alternative/

  • Peter Hocke, Armin Grunwald (Hg.): „Wohin mit dem radioaktiven Abfall. Perspektiven für eine sozialwissenschafliche Endlagerforschung.“ Berlin 2006. Seite 206 ff