Nuklearia e.V.: Rechtsoffene Atomlobby

Von Anti-Atom-Büro Hamburg

Noch sind es zwei Jahre bis zur angekündigten Abschaltung der sechs letzten großen Atomreaktoren in Deutschland. Doch schon seit längerem mehren sich wieder Stimmen, die eine Laufzeitverlängerung fordern: Zunächst aus der Wirtschaft, später aus den hinteren Plätzen der Werteunion und im Winter 2019 mit Laschet und Merz aus der ersten Reihe der CDU. Aktuell bemüht sich auch ein rechtsoffener Verein um mediale Aufmerksamkeit, der versucht die Debatte um eine Laufzeitverlängerung mit dem alten und nur vermeintlich zutreffenden Argument des Klimaschutzes zu verbinden.

Der Erhalt von deutschen AKWs wird seit dem Sommer 2020 durch eine medienwirksame Kampagne gefordert, hinter der maßgeblich der Verein Nuklearia e.V. steckt. Die Kampagne selbst gibt sich unabhängig, kämpft intensiv um eine Verankerung in der Klimabewegung und zeigt sich zugleich deutlich rechtsoffen.

Obwohl der Verein Nuklearia schon bei den großen Klimastreik-Demonstrationen in Erscheinung getreten ist, fiel der eigentliche Startschuss der Kampagne im Juli 2020. In der Zeit erscheint unter dem Titel „Stoppt den Atomausstieg“ ein prominent platzierter Gastbeitrag. Verfasst wurde der Text von Veronika Wendland und Rainer Moormann, ein für seine Warnungen vor Gefahren bestimmter Atomtechnologien preisgekrönter Whistleblower. Ausführlich treten die beiden darin für eine Laufzeitverlängerung von zehn Jahren ein, damit Deutschland seine Klimaziele und die Energieversorgung gleichermaßen sicherstellen könne. Außerdem dürfen sie per Link auf das inhaltliche Herzstück ihrer Kampagne hinweisen: Ihr Memorandum mit dem Namen „SafeGer6“ (safe german 6).

Wendland und Moormann behaupten in ihrem durchaus wortgewandten Beitrag, es gäbe „inzwischen viele Politiker und Wissenschaftler, vereinzelt sogar im grünen Lager, die zumindest denken würden“, was sie schrieben. Beide betonen, dass sie sich selbst „im progressiven und ökologischen Spektrum“ verorten. Für das Anti-Atom-Büro war die erhöhte Medienaufmerksamkeit Grund genug, einen genaueren Blick auf die mit der Kampagne auftretenden Beteiligten zu werfen.

Guck mal, wer da spricht

An prominentester Stelle ist Veronika Wendland aus dem Vorstand von Nuklearia e.V. zu nennen. Nach ihrer politischen Motivation gefragt, verweist die Technikhistorikerin auf ihre Forschung zur Geschichte der osteuropäischen Atomstädte. Über diese sei sie zu einer Dissidentin der Anti-Atom-Bewegung geworden und arbeite seither für eine „kerntechnische Re-Alphabetisierung der Deutschen“, wie sie sich im Spiegel zitieren lässt. Gern gibt sie sich als Opfer eines atomkritischen Mainstream. In einem Artikel des rechtsoffenen Portals „Achse des Guten“ beschreibt sie eine „Kampfzone“, in der sie gegen eine gut organisierte „Erneuerbaren-Lobby“ sowie „Alt-Antis und Dunkelgrüne“ antrete, die längst in „Staat, Eliten und Wirtschaft angekommen seien“. Sich selbst und ihr Umfeld sieht sie als „Atomstromrebellen“. Auch in der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ veröffentlichte Wendland unter dem Titel „Technik ist immer politisch“ einen zum Thema passenden Artikel. In ihrer Wortwahl bedient sie sich dabei hemmungslos am Repertoire anderer meist emanzipatorischer Strömungen, wie etwa der LGBTQ-Bewegung, um sich als Unterdrückte zu stilisieren: Ihren Schwenk zu Pro-Atom-Haltungen nennt Wendland ein „Coming-out“. Eine von ihr mitgetragene internationale Kampagne trägt passend dazu den Titel „Nuclear pride“.

Doch Wendlands Verein Nuklearia e.V. ist als Pro-Atom-Akteur schon länger kein unbeschriebenes Blatt mehr. Der Verein ist mit seinen über 250 Mitgliedern das zivilgesellschaftliche Pendant zum Deutschen Atomforum (seit 2019 KernD), einer Lobby-Organisation der Atomindustrie. Nuklearia e.V. versteht sich als Teil der Ökomodernisten, jener Strömung in der Umweltbewegung die vor allem Umweltschutz durch Technik betreiben will und damit verspricht, dass sich an der Lebensweise in den Metropolen nichts ändern muss.

Schon seit Jahren versucht Nuklearia ihre Anliegen mit kleineren Kundgebungen in die Medien zu bringen. Mehrmals versuchte der Verein bereits Anti-Atom-Veranstaltungen zu kapern, so zum Beispiel beim Abschaltfest am AKW Philippsburg Ende 2019.

„Klimapolitik“ für die AfD

Ein genauerer Blick zeigt, dass der Verein sich bereits seit Jahren weit offen nach rechts zeigt. So lud die „Alternative für Deutschland“ (AfD) 2016 als eine von acht Organisationen zur Jahrestagung des Nuklearia e.V. ein. Petr Bystron, ehemaliger Vorsitzender des AfD Landesverbandes Bayern und aktuelles Mitglied der AfD-Bundestagsfraktion, mobilisierte auf Twitter zur Nuklearia-Kundgebung am AKW Isar im September 2020. Die Partei selbst ist aber auch im Verein vertreten. Christoph Barthe, wie Wendland Beisitzender im Vereinsvorstand, trat 2015 als Kandidat der AfD für den Hamburger Wahlkreis Lokstedt-Niendorf-Schnelsen an. Rainer Klute, Vorsitzender von Nuklearia e.V., saß als Sachverständiger am 8. Mai 2019 auf einem Podium zu dem die AfD-Bundestagsfraktion eingeladen hatte. Er äußerte sich im März 2020 als Sachverständiger zu einem Antrag der AfD im Nordrhein-Westfälischen Landtag zur Kernsicherheitsforschung. Hier erläutert Klute seine Haltung zu der Partei, in der er „das ungeliebte Stiefkind des deutschen Parlamentarismus“ sieht, so: „Ich selbst bin kein Mitglied der AfD und stehe ihr auch nicht politisch nahe. Ich habe aber kein Problem damit, auch mit der AfD zu reden“.

Klute selbst ist nicht nur in Deutschland aktiv, sondern schob zusammen mit Björn Peters und zwei weiteren Atom-Fans 2018 die Kampagne „Nuclear Pride Deutschland“ an. Peters, der als Pressekontakt und häufiger Redner dieser Kampagne fungiert, saß – ebenso wie Klute – am 8. Mai 2019 auf dem Podium der AfD-Bundestagsfraktion. Er ist Geschäftsführer des „Instituts für Festkörper-Kernphysik“ (IfK) und propagierte dort den „Dual-Fluid-Reaktor“. Hierbei handelt es sich um einen „modernen“ Reaktortyp, den das Institut entwickeln möchte. Das IfK gibt vor, den bislang produzierten Atommüll damit einfach als Rohstoff verbrauchen zu können und somit Atommüll als auch Klimathematik mit einer Technologie zu erledigen. In den sozialen Medien findet dieses zweifelhafte Versprechen eine große Resonanz und der „Dual-Fluid-Reaktor“ kann mit Fug und Recht als energiepolitische Vision der AfD bezeichnet werden.

Dass Götz Ruprecht, ein Mitarbeiter im Institut, zugleich Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion ist, dürfte vor diesem Hintergrund kein Zufall sein. Nuklearia-AktivistInnen sind regelmäßig auf den großen Demonstrationen der „Fridays for Future“-Bewegung präsent. Sie entrollen Banner, verteilen Flyer und versuchen darüber hinaus, in den sozialen Medien junge KlimaaktivistInnen für die Laufzeitverlängerung und ihren Traum von der sauberen Lösung aller Energieprobleme durch Atomtechnologie zu gewinnen.

So ist auf YouTube das jüngste Vorstandsmitglied von Nuklearia, Simeon Preuß, vertreten. Der Physiklehrer, Tier- und Naturliebhaber, Veganer und Ex-Atomkraftgegner wirbt dort für den „neuen“ Dual-Fluid-Reaktor. Er fügt sich als Figur nahtlos in das Spektrum ein, das von „Stand up for nuclear“ adressiert wird und stößt bei technik-affinen sog. ÖkomodernistInnen auf einige Resonanz.

Fazit

Bislang beschränkte sich der Bezug von rechter Ökologie zur Atomenergie vor allem auf LebensschützerInnen, die von der Angst vor Beschädigung deutschen Erbgutes durch den Betrieb von Atomanlagen getrieben waren. Für die Anti-Atom-Bewegung ein konstantes Ärgernis, das einer beharrlichen Abgrenzung im Grenzbereich von Esoterik und Technikkritik bedurfte.

Mit der internationalen „Nuclear Pride“-Bewegung und ihren bundesdeutschen ProtagonistInnen von Nuklearia e.V. tauchen jetzt aber neue AkteurInnen auf. Sie argumentieren gezielt mit dem Themenkomplex Klima, sie adressieren – sprachlich kostümiert – ein weites Spektrum von Menschen und finden entlang einer Debatte um eine Laufzeitverlängerung bundesdeutscher AKWs ein enormes Medienecho.

Politisch ernstzunehmen sind sie aber in erster Linie, da sie zugleich das energie-politische Geschäft der AfD betreiben.