Rede von Harry Block vor der EnBW Zentrale in Karlsruhe zum Fukushima-Jahrestag 2021

Mahnwache der Anti-Atom-Initiative Karlsruhe unter Beteiligung und Unterstützung von BUND, Greenpeace und attac.

10 Jahre nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima sind die Auswirkungen auf Menschen und Umwelt noch immer heftig. In ein rund 300 Quadratkilometer großes Sperrgebiet werden viele ehemalige BewohnerInnen wohl ihr Leben lang nicht zurückkehren können. Der Vorsitzende der IPPNW und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin stellt in einer Medienmitteilung zu Fukushima fest, dass bisher in Fukushima nur eine einzige Krankheit bei Menschen systematisch untersucht wurde: Schilddrüsenkrebs. Die Zahl der Schilddrüsenkrebsfälle bei Kindern in Fukushima liegt in den letzten drei Untersuchungen 20-mal höher, als zu erwarten wäre. Für Panikmache besteht kein Anlass, aber wenn es nach dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und der japanischen Regierung geht, soll der olympische Fackellauf am 26. März in einer Sportstätte beginnen, die in den letzten Jahren als Zentrale der Rettungs- und Aufräumarbeiten am havarierten AKW Fukushima Daiichi genutzt wurde. Das ist verantwortungslos, weil es zahlreiche radioaktive Hotspots in der Region gibt. Trotzdem soll der Fackellauf von hier aus direkt durch die Sperrzone von Fukushima führen. Der neueste Kino-Film über den Ablauf der Ereignisse auf dem Gelände der Atommeiler von Fukushima vor, während und nach den explodierten Reaktoren zeigt – wie bei uns in der Klima- und Corona-Krise – die totale Hilf-und Kopflosigkeit der Politik.

Seit der dreifachen Kernschmelze in Fukushima müssen die explodierten Reaktoren kontinuierlich von außen gekühlt werden. Dabei entsteht viel radioaktives Wasser. In Fukushima will man 1,2 Millionen Tonnen tritiumhaltiges radioaktives Wasser in den Pazifischen Ozean zu leiten. Tritium ist ein Betastrahler, der dann gesundheitsgefährdend ist, wenn er eingeatmet, mit der Nahrung, Trinkwasser oder über die Haut aufgenommen wird. Die biologische Halbwertszeit von Tritium im menschlichen Körper, es ist ja Wasser, beträgt angeblich zwischen 7 und 14 Tage. Aber wir haben dies angezweifelt und von der Wissenschaft Recht bekommen. Tritium, dessen physikalische Halbwertszeit 12,3 Jahre beträgt, reichert sich in Fischen an. Im Körper kann Tritium DNA-Schäden verursachen und somit zu Mutationen und Krebs führen. Dieses Tritium geben alle Atomreaktoren in ihre jeweiligen Flüsse ab. Selbstverständlich auch unsere beiden Baden württembergischen Reaktoren – selbst wenn sie wie GKN 1, KKP 1 und 2 abgeschaltet sind.

Die Tritiumabgabe war 2019 am Standort Philippsburg sogar noch höher als am Standort Neckarwestheim. Und natürlich kommen dazu noch die radioaktiven Gase und die radioaktiven Partikel, die sich durch den Abriss der stillgelegten Atomkraftwerke noch vergrößern, hinzu.

Und jetzt kommt aktuell die Gutachterliche Stellungnahme zum „Leck vor Bruch“-Nachweis bezüglich des AKW Neckarwestheim 2 (GKN II).
Dessen ehemaliger Leiter der Abteilung „Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen“ im Bundesumweltministerium, Dieter Majer, sagt, dass die Schäden an den Rohren, die radioaktives und unter extrem hohen Druck stehendes Wasser führen, seien schon 2018 als sogenannte „interkristalline Spannungsrisskorrosion“ eingeschätzt worden sind, und es könnte jederzeit zu einem Bruch dieser Rohre und damit zu einer radioaktiven Kontamination der Umwelt führen.

„Wenn wir einen totalen Rohrabriss haben, dann haben wir einen massiven Übertritt vom Primärkreis, der hoch radioaktiv ist, zum Sekundärkreis, der nicht radioaktiv sein darf, weil von dort nach außen Öffnungen bestehen.“

Dieses russische Roulette soll noch bis Ende 2022 andauern. Wir fordern die sofortige Abschaltung von Neckarwestheim mit der gleichen Begründung wie die Abschaltentscheidung des Bundestages von 2011: Paragraf 19, Absatz drei, Satz drei. Danach kann die Atomaufsicht anordnen, dass der Umgang mit radioaktiven Stoffen eingestellt wird, wenn sich daraus „Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können“. Und das ist in Neckarwestheim genau denkbar.

Wir beobachten mit Sorge, dass Atomkraft-Befürworter auf das Vergessen und Verdrängen setzen und nun wieder unverhohlen Propaganda für den angeblichen sauberen Atomstrom machen – auch in den öffentlich rechtlichen Medien. Die Realität der laufenden wie der stillgelegten Atommeiler und der notwendige Entsorgung des hochaktiven Atommülls entlarven die Argumente der Befürworter als fake news. Aber die Forschung, Werbung und Bestellung vor allem von kleinen sogenannten small reactors nimmt gerade Fahrt auf und wird leider von Bill Gates mit viel Geld gesponsert und auch mit viel Sendezeit wie z.B. im öffentlichen ARD fast unwidersprochen gesendet. Die Europäische Union leistet dazu auch ihren Beitrag, den wir SteuerzahlerInnen mitfinanzieren. Vor unserer Haustür, am Joint Research Centre im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe finden unter Abgabe von Radioaktivität in die Umwelt Forschungen zu den Brennstoffen der sogenannten 4. Generation von Atomkraftwerken statt.

Die Anti-Atom-Initiative-Karlsruhe und der BUND haben sich immer intensiv um Philippsburg gekümmert. Die beiden Reaktoren sind stillgelegt und KKP 1 befindet sich im Abriss, der auch schon von mehreren Störfallmeldungen begleitet wird. Im Brennelementebecken von KKP 2 müssen die radioaktiven Stoffe noch mindestens weitere 4 Jahre abkühlen – mit Kohlestrom aus Karlsruhe – bevor sie in Castoren und dann in das Zwischenlager für hochaktiven Müll gebracht werden. Und dort stehen 65 Castoren.

Jetzt, nach 20 Jahren, soll eine Härtung erfolgen, die war schon beim Bau des Lagers wg. Terrorismus gefordert haben. Klar, jetzt bezahlt die Allgemeinheit diese notwendige Baumaßnahme. Die Verursacher dieser Misere geht das nichts mehr an.

Denn im Lager tauchen plötzlich riesige Probleme auf:

Die Dichtigkeit der Castorendeckel ist nicht 100 %ig gegeben. Das heißt, es treten radioaktive Gase aus. Nicht ganz normal, aber wie bei jeder Störfallmeldung völlig harmlos –so das Umweltministerium.

Seit einem Fachvortrag im KIT am 28. Januar 2020 von Herr Dr. Volker Metz vom Institut für Nukleare Entsorgung (KIT-INE), Campus Nord wissen wir, dass niemand genau weiß, wie inzwischen die Brennelemente in den Castoren aussehen.

Er berichtet über die Untersuchungen ans seinem Institut. Sie zeigen, und wir haben die Bilder, dass die Integrität, also die Stabilität des Inhalts rapide abnimmt. Das bedeutet, dass die Handhabbarkeit der Castoren und ihres Inventars stark beeinträchtigt werden kann. Was passiert in den Castoren? Im eigenen Strahlenfeld erfolgt die Alterung der Brennelemente. Es kommt zur Versprödung der den Brennstoff ummantelnden Zircaloy-Hüllrohre. Es besteht die Gefahr, dass sie brechen. Ferner kommt es im Innern der Rohre zur Korrosion, dies zerstört die Kristallstruktur der Uranpellets. Sie zerfallen.

Hier sehen wir nicht nur großen Forschungs-, Informations- und Kommunikationsbedarf, sondern wir fordern eine sofortige Untersuchung der Castoren in allen Zwischenlagern. Das geht aber vor Ort an keinem hochaktiven Zwischenlager bei deutschen Atomkraftwerken. Man benötigt dazu heiße Zellen, die wir seit Genehmigung des Zwischenlagers für hochaktiven Atommüll auch in Philippsburg fordern.

Und Deutschland ist nicht komplett aus der Atomproduktion ausgestiegen. Wir reichern in der Urananreicherungsanlage in Gronau Uran für ganz Europa an und fertigen in der Brennelementefabrik in Lingen für über 30 europäische Reaktoren deren Brennelemente an. Und in Karlsruhe wird am JRC auch in Zusammenarbeit mit dem KIT weiterhin Reaktorforschung betrieben.

Leider hat Japan die Chance verpasst, durch eine Abkehr von der Atomkraft zu einer positiven Kraft für die Welt zu werden. Wir versuchen es wenigstens. Denn wir stehen heute aber nicht nur gegen etwas, sondern vor allen Dingen für etwas. Für eine Energiewende die den Namen verdient. Der eingeführte neoliberale Stromhandel verhindert dies.

An der Börse wird Strom genauso gehandelt wie Öl oder Getreide. Man kann ihn ein halbes Jahr vor Lieferung kaufen oder verkaufen; drei Monate, eine Woche, eine Stunde, selbst fünf Minuten vor Lieferung ist es noch möglich, ein Geschäft zu machen. Strom ist zu einem Spekulationsobjekt geworden, das den täglich drohenden Blackout denkbar macht. Dieses Geschäftsmodell braucht deshalb auch riesige Netze, um z.B. Kohlestrom aus Polen und Atomstrom aus Bulgarien billig zu uns zu bringen.

Es ist aber gut, dass die EnBW Wasserkraft wie in Forbach ausbaut, gut, wenn die EnBW ihren Offshore Park an Windkraftanlagen vergrößert. Schlecht dabei ist, wenn sie diese sofort wieder profitgierigen Fonds zu 50 % verkauft. Schlecht, wenn die EnBW nur für eine Elektromobilität auf Strombasis eintritt und dabei die Wasserstofftechnologie, die sich bei ihrem Windpark an Sonn- und Feiertag anbietet, vernachlässigt. Geothermie = Fehlanzeige. Das EnBW-Projekt in Bruchsal ist in seiner Bedeutungslosigkeit eine Schande für diesen Konzern.

Ganz schlecht, dass die StromkundInnen über die Netzentgelte den sinnlosen Ausbau von Milliarden verschlingenden Konvertern und Stromleitungen finanziert und dabei auch von der Politik die dezentrale Versorgung mit Wärme und Strom aus den Augen verloren wird.

Und unser Appell geht auch an die Bundespolitiker: Sorgen Sie für eine sozial ausgewogene Energiewende. Es kann nicht sein, dass Sprit, Strom und Wärme für uns normale KundInnen immer teurer werden und werden und wir die regenerativen Energien ohne produzierendes Gewerbe allein finanzieren. Die Wohlhabenden kaufen sich hochsubventionierte SUV-eAutos. Und die Großverbraucher müssen nichts zur EEG-Umlage beitragen.

Dies wie auch die Hemmnisse beim Ausbau von Wind- und Solaranlagen müssen sofort beseitigt werden. Passiert das nicht, so wird es wie in der derzeitigen Coronapandemie laufen. Die Menschen sind es leid, immer nur Versprechungen ohne Taten zu hören. Der Politverdrossenheit und der Spaltung unserer Gesellschaft wird damit ein Bärendienst geleistet.

Vom Vorstand und Aufsichtsrat der EnBW fordern wir:

  • Sofortige Abschaltung der Kohlekraftwerkes RDK 7.
  • Sofortige Abschaltung des Atomkraftwerkes Neckarwestheim.
  • Endgültige Stilllegung des Braunkohlekraftwerks in der Lausitz.
  • Den Ausbau dezentraler Netze, die auf regenerativ erzeugten Strom und Wärme basieren.
  • Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030.

Von der Landes- und Bundpolitik fordern wir

  • die Schließung der Brennelemente- und Urananreicherungsanlage;
  • die Rücknahme der die Energiewende behinderten Verordnungen im Bereich der EEG- Umlage und dem Bau von regenerativen Anlagen.

Eines ist aber 10 Jahre nach Fukushima sicher: Die Rolle, die Atomkraftwerke im Energiemix der Zukunft spielen werden, wird weltweit kleiner und kleiner werden. Der wichtigste Grund dafür ist nicht die Furcht von den sich jederzeit wieder ereignen könnenden atomaren Katastrophen: Nein, es ist wie immer das Geld. Solarstrom ist schon jetzt konkurrenzlos billig. Anders als jedes noch so fortschrittliche Atomkraftwerk werden Fotovoltaik und Wind mit jedem Jahr noch leistungsfähiger und preiswerter. In Deutschland können wir zusammen, auch mit der Unterstützung der EnBW, es schaffen, bis 2038 die Energiewende in Deutschland zum Erfolg geführt zu haben. Und solange werden wir weiter dafür – und ich benutze das Wort ganz bewusst – kämpfen, dass Atomenergieerzeugung und die Erzeugung von Strom und Wärme aus Kohle ein Ende finden müssen und weltweit die regenerativen Energieformen ihren Siegeszug ohne bremsende Lobbyeinwirkungen der Energieriesen weiterführen können.