Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem UN-Atomwaffen- verbotsvertrag (TPNW) und der Entwicklung neuartiger Flüssigsalz-Kernreaktoren mit Thorium als Brutstoff?

Vortrag auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Dortmund, am 21.06.2019

von Dr. Dirk-M. Harmsen

Der UN-Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons) wurde am 7. Juli 2017 in New York von 122 Nationen verabschiedet. Seit dem 20. September 2017 kann er von den 196 Regierungen der UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnet werden. Wenn 50 Staaten den Vertrag nicht nur unterzeichnet, sondern ihn auch ratifiziert haben, tritt er in Kraft. Bis heute haben 70 Staaten den Vertrag unterzeichnet, 23 Staaten haben den Vertrag ratifiziert. In vielen Staaten, die den Vertrag unterzeichnet haben, läuft der Prozess der Ratifizierung. Die Internationale Kampagne für das Verbot von Kernwaffen (ICAN), die im Herbst 2017 für ihre vorbereitende Arbeit den Friedensnobelpreis erhielt, ist zuversichtlich, dass der UN Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) innerhalb der nächsten zwei Jahre in Kraft tritt.

Dieser Vertrag ergänzt den Nichtverbreitungsvertrag von Kernwaffen (NPT Non-Proliferation Treaty), der 1970 in Kraft trat, und mit dem sich die Nuklearmächte verpflichtet hatten, ihren Bestand an Kernwaffen vollständig zu vernichten. Nichts dergleichen ist jedoch bis heute geschehen. Im Gegenteil, alle Staaten, die Kernwaffen besitzen, sind dabei, ihre Bestände mit technisch verbesserter Waffentechnologie zu verbessern und zu erweitern.

In den 1950er Jahren bemühte sich die Bundesrepublik Deutschland, wieder eine Armee zu besitzen. Sie wurde in die NATO (North Atlantic Treaty Organisation) aufgenommen und versuchte, Zugriff auf Nuklearwaffen zu erhalten. Ihr wurde schließlich ein Mitspracherecht bei der nuklearen Einsatzplanung der NATO gewährt, die sogenannte ‚Nukleare Teilhabe‘. Sie besteht seitdem darin, dass im Fliegerhorst Büchel / Eifel, in der Nähe von Cochem an der Mosel, ein Geschwader von Tornado-Jagdbombern permanent übt, US-amerikanische Atombomben, die dort in Silos lagern und von US-Soldaten bewacht und unter Verschluss gehalten werden, im Kriegsfall unter den gegnerischen Radarschirmen hindurch zu fliegen und die Bomben im Zielgebiet abzuwerfen. Gegen diese nukleare Teilhabe und gegen die Lagerung von US-Atomwaffen auf deutschem Hoheitsgebiet protestieren viele Gruppen der deutschen Friedensbewegung Jahr für Jahr. Der zweite Ökumenische Aktionstag vor dem Haupt-Zugangstor zum Fliegerhorst Büchel findet am 7. Juli 2019 statt. Sie sind herzlich zur Teilnahme eingeladen. Ein entsprechender Flyer mit allen notwendigen Informationen liegt hier aus.

Zur Überwachung der Einhaltung des Kernwaffen-Nichtverbreitungsvertrages ist die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) weltweit verantwortlich. Sie wurde nicht nur dafür gegründet, sondern auch für die zivile Förderung der Kernenergie, zum Beispiel für die Entwicklung von Atomkraftwerken zur Bereitstellung von elektrischer Energie.

Es darf nicht vergessen werden, dass die zivile Nutzung von Atomenergie in allen Nationen, die hierzu befähigt wurden, immer mit dem Hintergedanken verbunden war, Kenntnisse zur Herstellung von Atombomben zu sammeln. Das gilt im Rückblick für alle Staaten, die heute Kernwaffen besitzen, und auch für die Bundesrepublik Deutschland, die im vergangenen Jahrhundert dem frisch gegründeten Staat Israel nicht nur finanziell die Entwicklung von Atombomben ermöglicht hat.

Welchen Zusammenhang gibt es denn nun zwischen dem UN Atomwaffenverbotsvertrag und der Entwicklung neuartiger Flüssigsalz-Kernreaktoren mit Thorium als Brutstoff?

Die gegenwärtig weltweit betriebenen rund 440 – 450 Atomkraftwerke1 gehören zu der sogenannten 2. Generation von Kernreaktoren. Die 3. Generation ist in Europa gegenwärtig in Finnland und in Frankreich im Bau, so genannte Dauerbaustellen. An der 4. Generation wird mit Unterstützung der IAEO weltweit geforscht und entwickelt.

Die Entwicklungsarbeiten an Thorium Flüssigsalz-Atomreaktoren2 sind unter dem Gesichtspunkt der Weiterverbreitung von Atomwaffen (Proliferation) höchst gefährlich. Die Konstruktion von Flüssigsalz-Atomreaktoren, in denen auf wenige Prozente angereichertes Uran-235 oder ein Gemisch aus Uran-235 und Plutonium-239 als Brennstoffquelle dient, erfordert und ermöglicht eine Online-Wiederaufarbeitung der beim Betrieb entstehenden Spaltprodukte. Wird Thorium-232 dem Hochtemperatur-Flüssigsalz-Brennstoff (600-800°C) beigegeben, so wird durch Neutroneneinfang das Isotop Thorium-233 erzeugt, das mit einer Halbwertszeit von 22,3 Minuten in der Flüssigsalzlösung in Protactinium Pa-233 umgewandelt wird. Protactinium Pa-233 kann im Rahmen der Online-Wiederaufarbeitung der Spaltprodukte chemisch in hochkonzentrierter Form abgetrennt werden. Es zerfällt mit einer Halbwertszeit von knapp 27 Tagen in spaltfähiges Uran-233. Der Bau einfacher Atombomben, wie eine am Ende des 2. Weltkriegs in Hiroshima/Japan zum Einsatz kam, ist den zukünftigen Betreibern solcher Atomreaktoren möglich. Diese Gefahr wird in nahezu allen Medien totgeschwiegen. Die Entwicklung solcher Reaktoren sollte deshalb weltweit verboten werden.

Thorium Flüssigsalz-Atomreaktoren mit Online-Wiederaufarbeitung der Spaltprodukte können vermutlich in so kleinen Ausmaßen konstruiert werden, dass sie mobil auf Schiffen, in Eisenbahn-Waggons und auf LKW-Schwertransportern zum Einsatz gebracht werden können. Daher das große Interesse von Militärs für diese Reaktorlinie. Es gibt Planungen, diese Kleinen Modularen Reaktoren (SMR) in (kleinen) Serien zu produzieren. Die Überwachung dieser dann weltweit verkauften Reaktoren durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) erfordert erhöhten Aufwand für die Proliferationskontrolle.

1 Der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromerzeugung liegt nahezu unverändert bei 10,5%. In 31 Ländern werden insgesamt 403 Atomkraftwerksblöcke betrieben.
70 Prozent des gesamten Atomstroms weltweit wird in nur fünf Ländern produziert: USA, Frankreich, China, Russland und Südkorea.
Seit Fukushima ist der Neubau von Atomkraftwerken weltweit rückläufig. Wurde im Jahr 2010 offiziell noch die Errichtung von 15 Anlagen begonnen, so waren es 2013 nur noch 10 und 2016 nur 3. Selbst in China, wo im vergangenen Jahrzehnt die meisten Neubaustellen zu verzeichnen waren, ist der AKW-Neubau deutlich zurückgegangen: 2010 wurden in China noch 10 Atomkraftwerksbauten begonnen. 2015 waren es 6 und im vergangenen Jahr sogar nur noch 2. … Bei den beiden Neubauprojekten Westeuropas, Olkiluoto-3 in Finnland und Flammanville-3 in Frankreich handelt es sich um Dauerbaustellen. Vgl. https://www.ippnw.de/atomenergie/energiewende/artikel/de/aktuelle-entwicklungen-der-atomindus.html

2 Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) fördert die Entwicklung dieser Kernreaktoren, obwohl sie gleichzeitig von der UNO beauftragt ist, die Weiterverbreitung von Kernwaffen zu überwachen.