Verwaltungsgerichtshof Mannheim am 16.12.2025:

von Harry Block

Was man auch aus einem verlorenen Prozess lernen kann …

Im Zwischenlager für hochaktiven Atommüll in Philippsburg stehen 106 Castoren. In denen befindet sich hoch radioaktiver Müll, welcher aus der Stromproduktion in Philippsburg aus zwei Atomreaktoren der vergangenen Jahrzehnte stammt. Dieser Müll hat Philippsburg nie verlassen. Nur vier Castoren stammen aus der Wiederaufbereitungsanlage in Frankreich und enthalten in Glas eingeschmolzenen hochaktiven Atommüll. Hierbei handelt es sich um deutschen Atommüll, den Deutschland zurücknehmen muss. Die letzten vier Behälter kamen erst 2024 ins Lager. Nur um diese letzte Einlagerung geht es jetzt in der 9. und 10. Änderungsgenehmigung bei dem Gerichtsverfahren. De facto beinhaltet aber jeder Behälter radioaktives Inventar in einer Größenordnung, die bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl freigesetzt wurde.

Bürgermeister Stefan Martus und seine drei Mitkläger bemängeln, dass bei der ursprünglichen Genehmigung des besagten Zwischenlagers die Gefahr durch Drohnenangriffe nicht berücksichtigt wurde. Der Krieg in der Ukraine habe gezeigt, dass selbst günstige Baumarkt-Drohnen mit Sprengstoff militärisch wirksam eingesetzt werden können. Die zentrale Frage ist deshalb: Reichen die heutigen Schutzkonzepte noch aus, wenn Terroristen oder fremde Mächte Drohnen gegen das Zwischenlager einsetzen? Was, wenn bei einem solchen Angriff Radioaktivität freigesetzt wird?

Der Anwalt der Bundesrepublik Deutschland gab zum Wort ‚Drohnenangriff‘ folgende Einlassung: Erst jetzt im Prozess würden die Kläger vom Drohnenangriff mit mehreren Drohnen sprechen, und deshalb könnte man die Einlassung von Oda Becker für die Kläger nicht akzeptieren. Die Gutachterin der Kläger hatte erklärt, dass ein Drohnenangriff mit mehreren Drohnen erfolgt. Die erste Drohne durchdringt mit entsprechender Bewaffnung jede Betonkonstruktion. Die 2. Drohne fliegt durch die Betonlücke in das Lager und schießt mit einem Hohlmantelgeschoss auf die Castoren. Es ist also nur ein Drohnenangriff für eine Katastrophe notwendig.

Die Kläger wollen ferner geklärt wissen, ob die Schutzkonzepte, zum Beispiel bauliche Sicherungen oder Luftsicherungsmaßnahmen eines gezielten Flugzeugabsturzes oder einen mit Bewaffnung ausgestatteten Militärjet aushält.

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) antwortete, dass bei einem absichtlich herbeigeführten Flugzeugabsturz auf ein Zwischenlager eine Gefährdung von Leben und Gesundheit der Bevölkerung ausgeschlossen werden könne. Das Lager sei mit zusätzlichen Stahlbetonwänden nachgerüstet worden, und das Gelände liegt in einem Flugbeschränkungsgebiet (Anwohnerinnen bestätigen einige direkte Überflüge). Auch die Lüftungsschlitze am Dach des Lagers (das Lager wird mit Umgebungsluft gekühlt) seien verschlossen worden. Die BGZ räumt jedoch ein, dass es Risiken gibt, die der Betreiber allein nicht abdecken kann. Für den Schutz gegen Angriffe von außen seien Maßnahmen der BGZ (BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH) und staatliche Maßnahmen eng verzahnt.

Dazu gab es nun zwei bemerkenswerte Einlassungen.

  1. Ein Luftwaffenoffizier der Bundeswehr wurde nach der Bewaffnung und damit der Sprengkraft der Munition am Jet gefragt. Er wollte oder durfte nicht konkret antworten.
  2. Die enge Verzahnung mit den Sicherheitsbehörden wurde sinngemäß vom Bürgermeister von Philippsburg mit folgender Einlassung beantwortet. Er sei Chef der Polizeibehörde und kenne die Eingriffszeit (geheim!), die vorgesehen sei, um das Eindringen in das Zwischenlager zu verhindern. Beim Betrieb der Atomreaktoren hatte seine Stadt 120 Polizeibeamte, jetzt seien es noch 90. In der Nacht seien 5 Polizisten auf der Wache. Er bezweifelte nicht nur die zeitgerechte Einsatzfähigkeit der Polizei, sondern wies auch darauf hin, dass es derzeit noch keine Drohnenabwehrwaffen für die Polizei gibt.

Mir wurde dabei klar, dass an den 16 Atomstandorten in Deutschland über Jahrzehnte mehrere hunderte Polizisten für mehrere hundert Millionen Euro an den Atommeilerstandorten auf Kosten der SteuerzahlerInnen eingesetzt worden waren.

Am Ende des Prozesstages (ein angesetzter zweiter Tag war nicht nötig), nachdem die Presse bereits fort war, kam es noch zu einer Unterbrechung der Verhandlung. Die von den Klägern geforderte Ausbreitungsrechnung im Falle eines mit Radioaktivitätsaustritt verbundenen ´Störfalls´ lag nicht vor. Der Richter fragte mit Hinweis auf die Gesetzeslage nach dieser. Er erhielt von der Gutachterin die Auskunft, dass wegen den von ihnen berechneten ´geringen radioaktiven Austrittsdosen‘ sie auf eine solche verzichtet hätten. Sie habe deshalb nur eine Plausibilitätsrechnung vorgelegt. Wie dieser Mangel bereinigt wurde, blieb unklar.

Fazit des Anwalts der Bundesrepublik Deutschland: „Die Sache ist juristisch langweilig, aber technisch komplex“.

Mein Fazit: Die Einwände der Kläger wurden in keiner Weise von den vielen Gutachtern ausgeräumt. Da aber schon 8 gültige Veränderungsgenehmigungen vorlagen, war die Genehmigung der Änderungsgenehmigung 9. und 10. nur noch Formsache. Wie bei vielen emissions- und atomrechtlichen Verfahren gelingt diese Salamitaktik, da schon rechtsgültige Genehmigungen bestehen, die nur noch minimal erweitert werden. In diesem Fall wurden die geopolitischen und terroristischen Gefährdungslagen ausgeblendet, weil diese nicht beherrschbar sind. Zwischenlager mit hochaktivem Atommüll sind über noch viel Jahrzehnte tickende hoch gefährliche, nicht kalkulierbare Zeitbomben, nicht nur in Deutschland.