Flugblatt des Karlsruher Bündnisses gegen neue Generationen von Atomreaktoren, KA 28.04.2019
Nur: Strahlende Augen bekommen wir bei dieser Technologie, die aus den 50er und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammt, nicht.
Klimaschutz lässt sich viel besser, ungefährlicher und deutlich billiger mit dem
raschen Ausbau der erneuerbaren Energien, Speichertechnologien und Energie-
sparmaßnahmen erreichen.
Wir wollen nicht, dass
in Karlsruhe und in der EU weiter
an diesen
neuen Reaktorsystemen
geforscht wird und stellen uns deshalb dagegen!
Denn:
Thoriumreaktoren können einerseits Strom erzeugen und sind doch so
gefährlich wie die Hiroshima-Bombe.
Da die Erforschung neuer Reaktorsysteme nach dem Atomausstieg kaum vermittelbar ist, wurde sie am JRC und KIT in „Sicherheitsforschung“ umdefiniert, eine bewährte Strategie, um das Ansehen der Atomkraft zu heben. Wie der Vortrag des JRC auf der Thorium-Konferenz 2018 in Brüssel belegt, betreibt das JRC-Karlsruhe auf hohem Niveau Grundlagenforschung mit dem Ziel, Bau und Entwicklung der Thoriumreaktoren in Europa zu ermöglichen [1]. Selbst zu den bekannten Risiken dieser Reaktoren und wie man diesen begegnen will, wird in den öffentlich zugänglichen Quellen nichts gesagt. Damit ist das JRC in guter Gesellschaft mit zahlreichen Medien wie arte, dem Deutschlandfunk, Vatican News und der Süddeutschen Zeitung, die diese Risiken nicht sehen oder bewusst verschweigen. Spätestens seit der Veröffentlichung von Ashley (2012) „Thorium has risks“ und der deutschen Übersetzung in Spektrum der Wissenschaft „Die Vergessene Gefahr des Thoriums“, im gleichen Jahr, sollten diese Gefahren jedem Fachjournalisten zugänglich sein.
Diesem Defizit wollen wir begegnen und die Risiken benennen:
Forschung und Entwicklung zu Flüssigsalzreaktoren (MSR: Molten Salt Reactor zählen zu den Reaktoren
der kommenden 4. Generation und werden mit
geschmolzenen Thoriumsalzen (um 700 °C) betrieben.
• Die Gefahr der Weiterverbreitung von Kernwaffen
(Proliferation) steigt extrem.
Thorium selbst ist kein Spaltstoff, aber es lässt sich daraus atomwaffenfähiges Material (Uran-233) erbrüten. Die MSRs sehen eine integrierte Wiederaufarbeitungsanlage vor, um störende Nuklide und Spaltprodukte zu
entfernen, bevor der Kernbrennstoff zusammen mit dem Thorium zurück in den Brennstoffkreislauf kommt. Die Möglichkeit, bei diesem Prozess waffenfähiges Uran-233 „abzuzweigen“, ist gegeben. Damit ist die Proliferationsgefahr sehr hoch. Die Entwicklung kleiner modularer Thoriumreaktoren (SMR: Small Modular Reactor), die in hohen Stückzahlen gebaut und weltweit vertrieben werden sollen, potenziert diese Gefahr. Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO unterstützt Forschung und Entwicklung dieser Reaktoren, deren Betrieb und Standorte kaum zu kontrollieren sind. Insbesondere die Förderung der zivilen Atomenergienutzung für Schwellenstaaten und Entwicklungsländer mit Hilfe dieser Technologie steht im Focus der IAEO. Viele kleine Anlagen erhöhen jedoch die
Gefahr, dass radioaktives Material in fremde Hände kommt. Man bedenke auch das Risiko eines Unfalls, wenn tausende Mini-Reaktoren, mit einer Laufzeit von 5 bis 30 Jahren, über Straßen und Flüsse transportiert, weltweit durch den Hersteller entsorgt und ersetzt werden müssen.
Auch die EU-Kommission will den Bau von weiteren Atomreaktoren vorantreiben. Außerdem sollen neue SMRs entwickelt werden. Spätestens 2030 soll ein SMR in Europa im Einsatz sein.
• Wirtschaftlich machen Forschung, Entwicklung, Bau und Betrieb neuer Atomreaktoren keinenSinn, auch die neuen SMRs sind nicht rentabel.
Nach Expertenmeinung ist der Markt für SMRs zu klein, um lebensfähig zu sein. Es gibt einfach nicht genug abgelegene Gemeinwesen als Stromkunden mit ausreichender Kaufkraft, um die Herstellung von SMRs zu Tausenden als Massenprodukt finanziell zu stemmen!
- Atomenergie
ist nicht CO2-frei
und kann das Klima nicht retten
Der Betrieb von Uranerzminen und Urananreicherungsanlagen, der Transport von Atommüll und nicht zuletzt der Bau und Abriss von AKWs und die Entsorgung verursachen CO2-Emissionen, Umweltschäden und gefährden die Gesundheit der Arbeiter*innen. Die AKWs werden nicht rentabel arbeiten und eher einen nachteiligen Einfluss auf den Klimaschutz haben, da sie die erneuerbaren Energien verdrängen!
- Der
Machtanspruch der Atommächte beruht auf zivilen Reaktoren
Der Zusammenhang zwischen der zivilen Nuklearindustrie und der Fähigkeit des Militärs sein Atomwaffenpotetial aufrechtzuerhalten wird in einem Bericht von Experten aus dem Umfeld des Pentagons dargelegt:
„Tritium,
ein wesentlicher Bestandteil von Kernwaffen, wird in zivilen
Reaktoren für den militärischen Einsatz hergestellt, und zivile
Reaktoren werden … zum Bau von Atombomben benötigt“.
Außerdem ist für den Betrieb und die Konstruktion von militärischen Reaktoren eine kerntechnisch ausgebildete und geschulte Belegschaft erforderlich, die der zivile Bereich kostengünstig liefern soll.
- Forschung
zur 4. Generation in Karlsruhe und Mol (Belgien)
Eine Reihe von Instituten im Karlsruher Institut für Technologie (KIT), sowie insbesondere Institute des Joint Research Center (JRC-Dir G) der Europäischen Union, arbeiten zum Thema MSR und sind gemeinsam am EU-Forschungsprojekt SAMOFAR beteilig.
„Die
Arbeiten am KIT dazu beziehen sich dort auf Reaktor- und
Brennstoffentwicklung, Computersimulationen sowie
Materialwissenschaften. Das JRC untersucht hierbei insbesondere
physikalische und chemische Eigenschaften der
Kernbrennstoff-Flüssigsalze und führt Sicherheitsanalysen von
chemischen Prozessen durch. Daneben beteiligen sich beide
Forschungsinstitute am EU-Forschungsprojekt MYRTE (MYRRHA Research
and Transmutation Endeavour), in dem die Transmutation
von hochradioaktiven Abfällen in
Hinblick auf den in Belgien geplanten Forschungsreaktor MYRRHA
erforscht werden soll. Beide Forschungsprojekte werden im Rahmen des
Euratom Forschungs- und Ausbildungsprogramms durchgeführt.“ (Quelle:
Kleine BT-Anfrage der Grünen vom 24.02.2017, DS
18/11327)
Das belgische Kernforschungszentrum (SCK-CEN) arbeitet unter Beteiligung des KIT an der Planung zum Bau einer multifunktionalen Forschungsanlage MYRRHA im belgischen Mol. MYRRHA dient auch zur Entwicklung von Materialien und Brennstoffen für Reaktoren, die auch mit Thorium arbeiten sollen. Vor kurzem startete NRG, eine Forschungseinrichtung in den Niederlanden, eine Reihe von Experimenten in Zusammenarbeit mit dem JRC in Karlsruhe mit dem erklärten Ziel, einen Schritt näher zu kommen, Thorium-MSRs nutzbar zu machen.
- Atomkraft: ein „wirtschaftlich und technisch unnützer Wahnsinn“,
dies äußerte der ehemalige französische Umweltminister Nicolas Hulot bei seinem Abschied 2018.
Um eine massive Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern, fordern wir, dass Forschung, Entwicklung und Betrieb von Einrichtungen, die die Erzeugung von waffenfähigem Nuklearmaterial ermöglichen, europaweit eingestellt, geächtet und nicht weiterentwickelt und gefördert werden!
Daher: Keine Verlängerung des SAMOFAR-Projekts am JRC und am KIT!
Gelder, die hier eingespart werden, sollten nachhaltigen Entwicklungen zum Klimaschutz und zur weltweiten Verbreitung von alternativen Energien zur Stromerzeugung und zu deren Verteilung und Speicherung zugutekommen. Dafür spricht neben dem Gebot der Wirtschaftlichkeit – alternative Energien sind heute schon günstiger als Atomstrom – auch die friedensfördernde Funktion dieser in die Zukunft gerichteten Investitionen.
[1]: http://www.thoriumenergyworld.com/uploads/6/9/8/7/69878937/chemistry_of_the_msr_fuel_thec18_slides.pdf