KIT-Wissenschaftler tritt aktiv für eine Renaissance der Atomenergie ein

– KIT Nord forscht intensiv an ´neuen´Atomreaktorlinien –

Es gibt aktuell einige Parteien und deren VertreterInnen, die von einer Wiederkehr der Atomenergie träumen; Fukushima ist verblasst, die großen Gorleben-Proteste sind vorbei, und der Putin-Krieg gegen die Ukraine hat die Atomkraft-Sehnsüchte wieder hochgespült, weil man unabhängig von russischem Öl und Gas sein will. AfD, CDU und CSU gehören dazu und betonen dies lauthals in ARD und ZDF.

Wenn Herr Dr. Thomas Walter Tromm das KIT-Zentrum Energie im Rathaussaal (5. Juni 2024) vorstellt, so freut man sich auf das Topic Energiebereitstellung. Erneuerbare Energien, thermochemische Energieumwandlung, elektrochemische Energieumwandlung. Aber dann wird man schon etwas hellhöriger bei synthetischen/ alternativen/ biologischen Kraftstoffen, weil diese zur nachhaltigen Verkehrswende wenig bis nichts beizutragen vermögen. Aufhorchen lassen aber die Bereiche Fusionstechnologie und Kernenergie-Sicherheit. Bei der Fusion wird am KIT Nord vor allem an den Fusionstechnologien und Materialen geforscht.
Bei Atom liest man Nuclear Wast Management, Safety and Radiation Research. Wer kann schon etwas gegen die Erforschung der Endlagerproblematik von Atommüll und Sicherheit von Atomanlagen haben. Im KIT Nord werden derzeit die ´Altlasten der friedlichen Atomenergie vom 700 MitarbeiterInnen des KTE für hunderte von Millionen Euro jährlich abgerissen und in einem Lager für leichtaktiven Atommüll (rund 80.000 Fässer) und in zwei Lagern mit über 6000 Fässer für mittelaktiven Atommüll ´zwischengelagert.“ Diese gefährliche und teure Hinterlassenschaft der Atomindustrie vor der Haustüre müsste Herrn Dr. Tomm zeigen, dass Atomkraftwerke teuer, unsicher und vor allem auch nicht nachhaltig sind. Aber er tritt in den letzten Monaten eindeutig als Vertreter neuartiger Reaktorkonzepte auf und das macht besorgt, dass mit Landes-und Bundesmitteln der Wieder-Einstieg in die Atomkraft in Deutschland unter dem Mantel der Sicherheitsforschung der Weg bereitet werden soll.

Am 6. Dezember war Dr. Tromm in einer Online-Veranstaltung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und zeigte in einer Power-Präsentation die Arbeitsbereiche im KIT Nord in Sachen Atom: „Partizipation in EU-Projects (EURATOM Call2021, Projects ongoing)“

Screenshot aus seiner Präsentation

Der Gipfel seiner Behauptungen war, dass Strom aus Windenergie genauso teuer sei wie Atomenergie.
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat in einer Studie die gesamtgesellschaftlichen, realen Kosten verschiedener Energieformen verglichen. Eine Kilowattstunde (kWh) Atomstrom kostet so bis zu 42,2 Cent. Die Windenergie liegt hingegen nur bei etwa 8,1 Cent/kWh. Bei seinen Berechnungen hatte er nicht nur die massiven Steuervergünstigungen, Subventionen und anderen Finanzhilfen für Bau, Instandhaltung und Entsorgung (in Deutschland insgesamt etwa 187 Milliarden Euro in den vergangen vierzig Jahren) vergessen, sondern auch kein Wort zu den Sicherheitsrisiken verloren. Sein Kommentar zu meinen im Chat geäußerten Vorhaltungen gegenüber seinem Preisvergleich: „Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler.“

Dennoch sein Fazit: Der Atomausstieg Deutschlands sei falsch gewesen. „Atomenergie ist eine mögliche zusätzliche Alternative zu den anderen Energieformen.“

Die anwesenden Wissenschaftler hielten ihm sehr sachlich entgegen:

  • Status: Erhebliche Anstrengungen zwischen den 1940er und 1970er Jahren, Wiederbelebung nach 2000, ein kommerziell nutzbares System ist nicht vor ~ 2050 zu erwarten
  • Sicherheit: Einige Vorteile möglich, aber
    – erhebliche technologische Entwicklung erforderlich (Materialien, Instrumentierung, Nachweisverfahren)
    – relevante Strahlenschutzprobleme auch im Normalbetrieb müssen gelöst werden
  • Abfälle: Verschiedene Abfallströme und andere relevante Nuklide (CI-36, C-14) Proliferation: spezifische Probleme aufgrund der erforderlichen Wiederaufbereitung von Brennstoff
  • Die Systeme sollen in den Bereichen Sicherheit, Ver- und Entsorgung, Non-Proliferation und Wirtschaftlichkeit Vorteile bieten.
  • Einzelne TL/RK bieten – bei konsequenter Auslegung – potenzielle Vorteile in einzelne Kriterien.
  • Kein Reaktorkonzept bietet aber gleichzeitig Vorteile in allen Kriterien,
  • Potenzielle Vorteile sind (fast) immer von der konkreten Umsetzung in Form eines Reaktorkonzepts abhängig, daher sind aus heutiger Sicht offen:
    – Wirtschaftlichkeit vs. Sicherheit
    – Bessere Brennstoffausnutzung wird durch Wiederaufarbeitung erzielt, mit der aber spezifische Proliferationsgefahren einhergehen.
    – Systeme setzten anstelle von Wasser ein anderes Kühlmittel ein. Damit sind spezifische Vor-, aber auch Nachteile verbunden. Es existiert signifikant weniger technologische Betriebserfahrung mit anderen Kühlmitteln wie z.B. Natrium.
  • Die Prinzipien der Technologielinien (TL) aller Reaktortypen sind im Wesentlichen seit den 1950er Jahren bekannt.
  • Da die Entwicklung von TL nicht „linear“ erfolgt, wäre eine Einordnung als „Generation II-B“ eher angebracht als von der Generation IV zu sprechen.
  • Trotz zum Teil jahrzehntelanger Entwicklung befinden sich viele TL bzw. Reaktorkonzepte (RK) hinsichtlich ihres Technologischem Reifegrads weiterhin in frühen Phasen der Entwicklung → zwar graduelle Fortschritte, aber keine grundlegenden Durchbrüche erkennbar.
  • Zeitpläne wurden systematisch nicht eingehalten.
  • Insbesondere Brennstoff-/Materialienentwicklung ist zeitlich limitierend.
    Der Zeitbedarf bis zu potenziellen „kommerziellen“ Systemen liegt wahrscheinlich im Bereich einiger Jahrzehnte.

Mein Fazit: Einige ´neue Reaktoren´ werden mit viel Finanzaufwand auf der Welt gebaut werden. Sie sind aber weder notwendig, keineswegs sicher und schon gar kein Beitrag zur klimaneutralen Energiewende.

Auch dem Traum von Partition und Transformation erteilten die beiden Wissenschaftler eine Abfuhr.
Für sie bedeutet P&T

  • sehr hohen Aufwand (Dutzende Reaktoren und Wiederaufarbeitungsanlage) für
  • sehr lange Zeiträume (>100 Jahre) bei
  • begrenzter Wirksamkeit (Endlagernotwendigkeit durch Restmengen) und
  • erheblichen Belastungen (Sicherheit, Proliferation, Gesellschaft)

Dabei leistet P&T (selbst) im Idealfall:

  • keinen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der Wärmeproduktion (Flächenbedarf)
  • keinen Beitrag zur Reduktion des Abfallvolumens durch Abtrennung von Uran aus den HLW. Das abgetrennte Uran muss anderweitig entsorgt werden (mittelradioaktiver Abfall).
  • keinen nennenswerten Beitrag zur Langzeitsicherheit und reduziert daher auch nicht die Anforderungen an die Isolation.

Aber dies alles kümmert Herrn Dr. Tromm nicht. Am 7. Dezember stellt er in der Landesschau Ba-Wü das Kalla-Labor im KIT mit den Worten vor: “Hier forschen wir an innovativen Reaktorkonzepten. Die nächste Stufe der Kernreaktoren …“
Es wird dort die Kühlung von Mini-Akws erforscht. Dr. Tomm ist überzeugt, dass der Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie ein Fehler gewesen sei. Er bezweifelt, dass der Weg in die erneuerbaren Energien in Deutschland der richtige sei und führt Tschechien, Finnland und Frankreich an, die an der Atomenergie festhalten. Er will die „small reactors“ als ´Ergänzung´ zu den anderen Technologien. Die Sendung endet aber mit den Einwänden gegen den Einstieg in eine neue Atomtechnologie.

Angela Merkel, Atomphysikerin, hat in ihrer soeben erschienenen Autobiografie auf Seite 608 ihre Antwort auf Söder, Merz und andere Atombefürworter sehr knapp und bündig formuliert: „Ich kann Deutschland auch in Zukunft nicht empfehlen, wieder in die Nutzung der Kernenergie einzusteigen. Wir können die Klimaziele auch ohne Kernenergie erreichen, technologisch erfolgreich sein und damit auch anderen Ländern der Erde Mut machen.“

Wir fordern die Landesregierung und die Bundesregierung auf, die finanzielle Unterstützung für Forschungen an ´neuen Reaktoren´ im KIT Nord einzustellen und die Forschungsgelder in die anderen nachhaltigeren und Erfolg versprechenden Energieforschungen zu investieren.

Harry Block